21. Februar 2023 Thema: Klima, Wirtschaft Von Dr. Babette Nieder
Dr. Babette Nieder ist sachkundige Bürgerin der SPD-Fraktion im Ruhrparlament, Vorsitzende der SPD Herten sowie Wasserstoff-Koordinatorin bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft WiN Emscher-Lippe GmbH.
Bereits heute ist das Ruhrgebiet beim Thema Wasserstoff gut aufgestellt und in den nächsten Jahren kommen viele neue Projekte hinzu. Unsere Region hat die Chance, weltweit eine Vorreiterrolle einzunehmen.
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Dies ist der zweite Teil meiner Gedanken zum Thema Wasserstoff im Ruhrgebiet. Im ersten Teil habe ich beschrieben, warum eine klimaneutrale Industrie auf Wasserstoff als Rohstoff, Wärmequelle und Stromspeicher setzen muss. Dieser Beitrag bietet eine Übersicht, wo die Metropole Ruhr beim Einsatz von Wasserstoff derzeit steht und welche Pläne es gibt.
Seit 1938 gibt es die Wasserstoff-Pipeline Rhein-Ruhr. Sie ist 240 Kilometer lang und versorgt seitdem unfallfrei zahlreiche Chemieunternehmen mit Wasserstoff.
Darüber hinaus gibt es durch die Umstellung von niederländischem auf norwegisches Erdgas ungenutzte Ferngasleitungen, die schnell und kostengünstig auf Wasserstoff umgestellt werden können. Das Projekt „GET H2“ soll als erstes Teilstück des europäischen Wasserstoff-Netzes („Hydrogen Backbone“) 2026 in Betrieb gehen. Dann strömt grüner Wasserstoff per Pipeline von Lingen an der Ems über den Chemiepark Marl zur Raffinerie nach Gelsenkirchen und später zur Stahlhütte nach Duisburg und über Verbindungsstücke in die Verteilnetze für den Mittelstand. Schon jetzt ist auch die Anbindung an die Nordseehäfen in den Niederlanden und Wilhelmshaven vorgesehen.
Wegen der enormen Wasserstoff-Mengen, die wir in Zukunft brauchen, ist unsere Pipeline-Infrastruktur, die vorhandenen Starkstromanbindungen für zukünftige Großelektolyseure und unsere geographische Lage am Rhein und an den Kanälen so wichtig. Das alles nutzen wir, um den industriellen Wasserstoff-Einsatz aus der Nische zu holen und zum Standard zu machen.
Die Stahlproduktion macht ein Viertel der CO2-Emissionen unserer Region aus. Daher will Thyssenkrupp schon 2026 den ersten Hochofen durch eine Direktreduktionsanlage ersetzen. Dann wird Wasserstoff anstelle von Koks eingesetzt, um aus Erz Stahl zu produzieren. Allein in Duisburg werden dafür 800.000 Tonnen Wasserstoff im Jahr benötigt.
Aber auch die Ruhröl-Raffinerie in Gelsenkirchen und die Chemieindustrie benötigen große Mengen Wasserstoff ebenso weitere Grundstoffindustrien wie Glas, mineralische Baustoffe und die Metallverarbeitung, deren energieintensive Prozesse Wasserstoff als Alternative zu fossilen Brennstoffen brauchen.
In Gelsenkirchen haben sich Unternehmen am Stadthafen zum „Klimahafen“ zusammengeschlossen und brauchen Prozesswärme in der Größenordnung von 100 MW. Die Infrastruktur darf nicht nur die Weltkonzerne miteinander verbinden, sondern kann in der Tradition der Verbundwirtschaft auch dem energieintensiven Mittelstand eine Perspektive bieten, auch an neu zu entwickelnden interkommunalen Standorten wie „Freiheit Emscher“, „gate ruhr“ in Marl oder die „Neue Zeche Westerholt“.
Eine Untersuchung des Europäischen Patentamts vom Januar 2023 zeigt, dass 24% der Patente für Wasserstofftechnologien weltweit aus Europa stammen und 11% aus Deutschland. Die Metropole Ruhr hat daran einen signifikanten Anteil mit ihren Universitäten, Forschungseinrichtungen und Hochschulen.
Die Firma Evonik arbeitet z.B. in Ihrer Entwicklungsabteilung Creavis im Chemiepark Marl u.a. an einer Membran für Elektrolyseure, damit diese in Zukunft zu geringeren Kosten und mit weniger Einsatz seltener Rohstoffe Wind- und Sonnenenergie in Wasserstoff umwandeln können.
Neben der Forschung und Entwicklung in Unternehmen gibt es Grundlagenforschung zum Thema Wasserstoff an den Universitäten Bochum und Duisburg-Essen sowie dem Max Planck Institut in Mülheim; anwendungsorientierte Forschung im Westfälischen Energieinstitut in Gelsenkirchen, im Gas-Wärme-Institut in Essen, bei Fraunhofer Umsicht in Oberhausen und nun auch im TrHy, dem neuen Zentrum zur Zertifizierung, Standardisierung und Prüfung brennstoffzellenbasierter Antriebssysteme für den Heavy-Duty-Bereich in Duisburg.
Am Anwenderzentrum h2herten kann seit 2013 ein Technologiezentrum aus Windenergie und Wasserstoff mit Strom versorgt werden und die start-ups vor Ort, aber auch Unternehmen und externe Forschungseinrichtungen Testkampagnen an der Demonstrationsanlage fahren, die mit Leistungselektronik, Wassersaufbereitung, Elektrolyseur, Kompressor, Speicher und Brennstoffzelle ausgestattet ist.
Die richtig großen Projekte kommen erst noch. Aber schon heute gibt es viele Anwendungen, die zeigen, wohin die Reise geht. Das Projekt „Carbon2Chem“ mit der wissenschaftlichen Begleitung von Fraunhofer Umsicht nutzt das CO2 aus der Stahlproduktion in der Chemieindustrie, um Vorprodukte für Kraftstoffe, Kunststoffe und Düngemittel herzustellen.
Die Thyssenkrupp-Tochter Nucera in Dortmund ist einer der weltweit größten Hersteller von Elektrolyseuren. In Dortmund hat sich inzwischen auch ein weiterer Elektrolyseurbauer, die WEW-GmbH gegründet.
In Herten baut die Firma Cummins Brennstoffzellensysteme für Züge und das start-up HyRef stationäre Brennstoffzellen u.a. für die untebrechungsfreie Stromversorgung. In Duisburg plant Plugpower ein Auslieferungszentrum.
Die Gelsenkirchener Firma KüppersSolutions entwickelt wasserstofffähige Industriebrenne per 3D-Druck.
Zahlreiche Maschinenbauunternehmen können Komponenten wie Ventile und Kompressoren bauen, die Ingenieurbüros aus dem Bereich des Anlagenbaus bieten industrienahe Dienstleistungen für Planung, Bau und Wartung von Wasserstoffanlagen ebenso wie der TÜV.
Schon heute haben wir die größte Dichte an Wasserstofftankstellen in Europa, mit der Bewerbung als „HyPerformer Rhein-Ruhr“ und dem Einsatz von kommunalen Fahrzeugen auf Brennstoffzellenbasis soll dieser Vorsprung ausgebaut und der Schwerlastverkehr umwelt- und klimafreundlich werden.
Schon diese beispielhafte Übersicht zeigt, dass die Metropole Ruhr als Stadt der Städte ihre Kompetenzen im Bereich Energie und Industrie umfassend nutzt, um selbst klimaneutral zu werden. Als Netz der Netze können wir eine weltweite Vorreiterrolle beim Thema Wasserstoff einnehmen. Das h2 netzwerk ruhr e.V. hat fast 80 Mitglieder. In Oberhausen, Duisburg, Essen, Dortmund und Hamm haben sich Wirtschaft, Wissenschaft und die städtischen Wirtschaftsförderungen lokal zusammengeschlossen, um Unternehmen bei der Einführung von Wasserstofftechnologien zu helfen.
Als grünste Industrieregion der Welt entwickeln wir innovative Lösungen aber nicht nur für uns, sondern können auch Länder wie Indien und China dabei unterstützen Industrie und Klimaschutz zu verbinden.
Wir erfüllen noch eine entscheidende Voraussetzung um das zu schaffen. Wir haben nämlich die Forscher, Ingenieure und vor allem anders als Süddeutschland noch Facharbeiterpotential, um die Anlagen bauen und warten zu können, die für eine klimaneutrale Industrie gebraucht werden. Auf diese Weise können wir den „blauen Himmel über der Ruhr“ von Willy Brandt mit guter Arbeit verbinden.
Wichtig ist, dass das Land NRW mitzieht. Auch Berlin und Brüssel sollen wissen: Wenn es darum geht Industrie klimaneutral aufzustellen, dann können sie zu uns kommen. Wir wissen wie das funktioniert. Das passiert natürlich nicht von alleine. Wir müssen unsere Ärmel hochkrempeln und anpacken. Und das können wir hier im Ruhrgebiet.
Dr. Babette Nieder ist sachkundige Bürgerin der SPD-Fraktion im Ruhrparlament, Vorsitzende der SPD Herten sowie Wasserstoff-Koordinatorin bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft WiN Emscher-Lippe GmbH.