13. Juni 2019 Thema: Freizeit Von SPD-Fraktion
Unser Fraktionsmitglied Ullrich Syberg tritt stets in zwei Pedale. Zum einen als Bundesvorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, zum anderen als SPD-Ratsmitglied in Herne. In dieser Doppelrolle beantwortet er uns 5 Fragen zur Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“, die letzte Woche auf dem RADKOMM Kongress in Köln abgeschlossen wurde.
Das Aktionsbündnis „Aufbruch Fahrrad“ wurde vom Kölner Verein RADKOMM e.V. im April 2017 gegründet. Ausgangspunkt war ein RADKOMM Kongress im Juni 2016. Dort wurde u.a. über den erfolgreichen Volksentscheid „Fahrrad Berlin“ diskutiert, aus dem das bundesweit erste Mobilitätsgesetz entstand. Die Macher dachten, dass es so etwas auch für NRW bräuchte. Im Herbst 2017 konnte der über 44.000 Mitglieder zählende ADFC NRW als wichtiger Partner gewonnen werden. Darüber hinaus wurden über 210 weitere unterstützende Verbände und Vereine gewonnen. Eine solch breite und starke Allianz für eine andere Mobilitätspolitik gab es bisher in NRW noch nie.
Es hätte nur 66.000 geprüfte Unterschriften benötigt, damit sich der NRW Landtag mit der Volkinitiative hätte befassen müssen. Es sind jedoch über 3-mal mehr Unterschriften geworden, die in (fast) allen NRW Städten und Gemeinden gesammelt wurden. Das ist sensationell! Ich habe nie damit gerechnet, dass die Verkehrswende schon so weit in den Köpfen der Menschen angekommen ist. 2010, als ich ADFC Bundesvorsitzender wurde, habe ich gefordert, dass das Fahrrad in die Mitte der Gesellschaft gehört, weil es ein Problemlöser ist. Ob Umwelt-, Gesundheits- oder Platzprobleme in unseren Städten, immer kann das Fahrrad seinen Beitrag leisten. Jetzt müssen sich erst einmal die 199 Mitglieder des NRW Landtages mit der Volkinitiative und den 9 Kernforderungen auseinandersetzen. Ich glaube aber, die Botschaft der Bürgerinnen und Bürger ist angekommen. Mit solch einer Deutlichkeit ist meines Wissens noch kein verkehrspolitisches Thema im Landtag aufgeschlagen.
Um deutlich zu machen, um was es geht hier erst einmal die 9 Maßnahmen:
1. Mehr Verkehrssicherheit auf Straßen und Radwegen
2. NRW wirbt für mehr Radverkehr
3. 1000 Kilometer Radschnellwege für den Pendelverkehr
4. 300 Kilometer überregionale Radwege pro Jahr
5. Fahrradstraßen und Radinfrastruktur in den Kommunen
6. Mehr Fahrrad-Expertise in Ministerien und Behörden
7. Kostenlose Mitnahme im Nahverkehr
8. Fahrradparken und E-Bike Stationen
9. Förderung von Lastenrädern
Schluss mit unterdimensionierter und schlechter Fahrradinfrastruktur – das steht für mich an oberster Stelle. Das ungebremste Wachstum der PKW-Anzahl in den letzten 60 Jahren hat den urbanen Menschen die Lebensqualität genommen und damit auch den Platz für fahrradfahrende Menschen oder die, die es werden wollen. Wenn parkende Autos immer mehr Stadtraum erhalten, wenn der Verkehr so stark ist, dass Kinder nicht allein zu Fuß oder mit dem Rad zur Schule dürfen, sondern im Auto kutschiert werden und wenn umweltfreundliche Mobilität auf einem Bruchteil der Flächen des Kfz-Verkehrs stattfinden muss – dann läuft in Deutschland etwas grundlegend falsch! Die Stadtplanung muss vom Menschen und nicht vom Autofahrer gedacht werden. Breite, durchgängig und intuitiv benutzbare Radwege, die getrennt vom Autoverkehr gebaut sind, erhöhen das subjektive Sicherheitsgefühl und machen die Verkehrssicherheit im Straßenverkehr eindeutig besser. Aufgemalte weiße Linien helfen Niemandem. Sie suggerieren eine Sicherheit, die an der nächsten Kreuzung abrupt endet. Wenn Autos zu dicht überholen und aufgehende Autotüren Angst machen, steigen die Menschen auch nicht vermehrt aufs Rad. Also #MehrPlatzFuersRad – ganz einfach.
Jede Stadt muss eigentlich mit ihren eigenen Verkehrsproblemen selber fertig werden. In der Metropole Ruhr ist das jedoch durch die Mobilitätsbeziehungen über die Stadtgrenzen hinaus weitaus komplexer. Die Städte müssen hier viel mehr zusammenarbeiten. Hierfür braucht es den Regionalverband Ruhr mit seinem Knowhow in Sachen Mobilität.
Wir haben in Herne 2015 einen Modal Split ermitteln lassen, der sagt, dass 20 Prozent aller Wege bis zu einem Kilometer und 72 Prozent aller Wege bis zu 5 Kilometer mit dem PKW zurückgelegt werden. Darüber hinaus steigen in Herne jährlich die Zahlen von neu angemeldeten Kraftfahrzeugen und diese werden auch immer größer. Die Anzahl der SUVs legten gegenüber dem Vorjahresmonat bundesweit um stramme 32 Prozent zu. Immer mehr und größere Fahrzeuge lassen die Lebensqualität in der Stadt sinken. Der Kampf um die öffentliche Fläche ist schon voll im Gang. Keine Debatte wird kontroverser und emotionaler geführt, wenn es um den Platz für das Auto vor der eigenen Haustür geht. In Herne haben wir daraus die Konsequenzen gezogen und im Februar ein „Klimafreundliches Mobilitätskonzept“ mit 60 Maßnahmen im Rat beschlossen.
Ich frage mich immer wieder, warum man nicht schon viel früher über andere Mobilitätsformen nachgedacht hat? Immer noch hängt man dem nostalgischen Gedanke nach, das Auto sei das perfekte Stadtfahrzeug. Aber: Wege in der Stadt sind kurz – 50 Prozent aller Autofahrten sind unter 5 Kilometer lang – und lassen sich locker durch das Fahrrad ersetzen. Auch in Kombination mit dem öffentlichen Nahverkehr ist das Fahrrad auch auf der sogenannten „Letzten Meile“ unschlagbar. Vorausgesetzt, fahrradfahrende Menschen fühlen sich als Verkehrsteilnehmende akzeptiert und sicher. Das heißt, sie brauchen sichere Radwege – die für Menschen von „8 bis 80“ intuitiv nutzbar sind. Am Wichtigsten ist jedoch, dass das Fahrrad bei jeder stadtplanerischen Maßnahme mitgedacht wird, nur so entsteht ein fahrradfreundliches Verkehrsklima.
Ich bin total begeistert, dass es überall in Deutschland immer mehr Volksinitiativen und Volksbegehren gibt, die mit Unterstützung des ADFC Druck machen für eine fahrradfreundliche Verkehrspolitik. Allen voran ist Berlin zu nennen, wo der Volksentscheid Fahrrad erfolgreich ein modernes Mobilitätsgesetz durchgesetzt hat. Auch in Bamberg wurden Ziele des Radentscheids beschlossen und sollen mit einem Maßnahmenpaket unterfüttert werden. Ob in Aachen, Bielefeld, Kassel, Hamburg, Stuttgart, Frankfurt, Darmstadt, München oder im Freistaat Bayern und NRW: In immer mehr Städten und Regionen steht das Thema Radverkehr oben auf der Agenda.
Die Stärken des Radverkehrs liegen auf der Hand: Sie können Städte verändern, wenn die Infrastruktur entsprechend für Radfahrende ausgebaut wird. Das zeigen Amsterdam und Kopenhagen, aber auch Karlsruhe oder Göttingen.
In unseren Städten werden die Probleme durch den motorisierten Individualverkehr immer deutlicher. Dem Autoverkehr werden massiv Flächen für Straßen und Parkplätze bereitgestellt. Radfahrende und alle, die zu Fuß gehen, werden an den Rand gedrängt, zu Umwegen gezwungen und durch den Autoverkehr gefährdet oder sogar getötet. Das wollen immer weniger Menschen hinnehmen.
Der ADFC hat sich in den letzten Jahren intensiv mit Infrastruktur und Radverkehrspolitik beschäftigt und den Rad fahrenden Menschen und nicht sein Fahrzeug in den Mittelpunkt gestellt.
Wir haben uns gefragt, wie Menschen Rad fahren wollen, was sie davon abhält und wie wichtig dabei Sicherheit und Komfort sind. Viele unserer Ideen und Forderungen finden sich in den Radentscheiden wieder. Deshalb freuen wir uns, dass der Radverkehr in immer mehr Städten auch durch die Bürger- und Volksentscheide deutlicher in den Fokus rückt. Damit der ADFC noch stärker zum Motor einer Bewegung für mehr Radverkehr wird, empfehlen wir unseren Landesverbänden und über 450 Gliederungen die Radentscheide weiter zu unterstützen oder sie selbst initiieren.
Für uns sind Radentscheide demokratische Mittel der politischen Willensbildung. Dass ADFC-Mitglieder an ihnen beteiligt sind oder sie vom ADFC mitgetragen werden, ist für uns richtig und sinnvoll. Radentscheide stehen nicht in Konkurrenz zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Verwaltung und Politik oder einer kontinuierlichen Lobbyarbeit. Im Gegenteil: Durch die Unterstützung der Radentscheide wird der ADFC in Öffentlichkeit und in Politik zusätzlich als engagierter, kooperativer zivilgesellschaftlicher Akteur für einen besseren Radverkehr wahrgenommen. Und das ist unser Ziel und unsere Aufgabe: Der ADFC will eine breite Bewegung in der Bevölkerung für bessere Städte, für Sicherheit auf den Straßen und vor allem für viel mehr Radverkehr. Radentscheide sind dazu ein wichtiger Baustein.
Aktuell ist auch auf Bundesebene viel in Bewegung gekommen. Unsere Gespräche mit dem Bundesverkehrsminister haben Wirkung gezeigt und er hat jetzt geliefert. Ich habe Herrn Scheuer Anfang Mai in Dresden unser „Gute-Straßen-für-alle-Gesetz“ überreicht. Zentrales Anliegen darin ist es, den Kommunen die Einrichtung durchgängiger, komfortabler Radwegenetze und ein fahrradfreundliches Verkehrsklima zu ermöglichen. Das bisherige Straßenverkehrsrecht verhindere das Wachstum des Rad- und Fußverkehrs und anderer Formen der neuen, klimafreundlichen Mobilität. Der Bundesverkehrsminister hat selbst vergangene Woche Wort gehalten und mit einem eigenen Reformentwurf der STVO zugunsten des Radverkehrs nachgelegt.