16. August 2022 Thema: Mobilität Von Ulrich Syberg
Ulrich Syberg ist Co-Sprecher und sachkundiger Bürger im Mobilitätsausschuss.
Deutschland ist immer noch ein Autoland, wirtschaftlich, politisch und privat. Eine starke Automobilindustrie mit einer starken Lobby. Jahrzehntelang um und für das Auto geplante Städte und Infrastrukturen, das Auto als Statussymbol. Lange Zeit konnten sich viele nicht vorstellen, dass sich daran jemals etwas ändern könnte.
Seit Jahrzehnten engagiere ich mich für den Ausbau des Radverkehrs und war von Anfang an der Überzeugung, dass ein Thema nur dann in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, wenn dazu ausgebildet wird und es Studiengänge gibt. Wie selbstverständlich gibt es Studiengänge, in deren Mittelpunkt das Auto steht. Hier wollte ich ansetzen.
Doch unsere Mobilitätskultur beginnt sich zu wandeln. 2020 wurden die ersten Professuren für Radverkehr an deutschen Hochschulen ins Leben gerufen. Das Bundesverkehrsministerium fördert fünf Jahre lang insgesamt sieben Stiftungsprofessuren. In NRW wurde 2021 die erste Rad-Professur an der Bergischen Universität Wuppertal eingerichtet – zu wenig für die Verkehrswende.
Unsere Gesellschaft braucht aus mehreren triftigen Gründen eine Verkehrswende. Wegen der Klimakrise müssen wir unseren CO2-Ausstoß – insbesondere im Verkehrssektor – deutlich reduzieren, wir brauchen gerade auf den kurzen Strecken Alternativen zum motorisierten Individualverkehr. Lebenswerte Städte mit mehr Lebensqualität leiden unter Dauerstaus und verstopften Straßen. Das Ruhrgebiet will grünste Industrieregion der Welt werden? Da gehört das Fahrrad dazu. Paris, London, Barcelona machen es uns seit kurzem vor, mehr Platz fürs Rad ist dort angesagt
Inzwischen ist es weitgehender Konsens, dass sich daran auch in der Metropole Ruhr dringend etwas ändern muss. Gerade in einer so dicht besiedelten Region wie dem Ruhrgebiet sind Infrastruktur und Mobilität ein entscheidender Faktor für alle Lebensbereiche.
In den letzten Jahren wurden die Fördermittel für den Radverkehr immer weiter erhöht. Das ist eine sehr positive Entwicklung. Aber das nützt nichts, wenn diese Gelder nicht abgerufen werden. Das liegt häufig daran, dass Fachleute fehlen, die die Verkehrswende mit konkreten Projekten und Maßnahmen umsetzen können. Das Geld muss auf den Radweg. Dieser Fachkräftemangel dürfte sich in den kommenden Jahren durch die Verrentung der Babyboomer noch verstärken.
Die Umsetzung des „Regionalen Radwegenetzes“ mit rund 1.800 Kilometern ist eine riesige Herausforderung für die gesamte Metropole Ruhr. Die prognostizierten Zeiträume für die Planung und den Bau von Radschnellverbindungen betragen durchschnittlich zehn bis zwanzig Jahre. Das ist deutlich zu lang. Hier gilt es gegenzusteuern und mit vereinten Kräften dafür zu sorgen, dass die erforderlichen Fachleute bei uns vor Ort ausgebildet werden.
Auch auf Landesebene hat sich einiges getan. Die ehemalige Landesregierung hat im November 2021 das Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz verabschiedet. Dazu gehört ein Aktionsplan, der eine Stiftungsprofessur für Radverkehr in Aussicht stellt. Der Koalitionsvertrag der neuen schwarz-grünen Landesregierung kündigt die Schaffung „neuer Radprofessuren“ an – also gleich mehrere.
Die Metropole Ruhr verfügt über die dichteste Hochschullandschaft Deutschlands und hat gleichzeitig einen enormen Bedarf an Kompetenz in den Bereichen Forschung, Planung und Umsetzung, um die Verkehrswende zu bewältigen.
Daher haben wir als SPD-Fraktion eine Resolution initiiert, die die Einrichtung einer Stiftungsprofessur „Radverkehr“ an einer der 22 Hochschulen in unserer Region fordert. Die Metropole Ruhr ist auch Wissensmetropole und dem kann sie hiermit gerecht werden. Gemeinsam mit den Fraktionen von CDU, Grünen, Linken und FDP haben wir diese Resolution ins Ruhrparlament eingebracht und im Juni verabschiedet. Zusammen können wir nun losgehen und uns dafür einsetzen, dass einer der geplanten Lehrstühle ins Ruhrgebiet kommt.
Der RVR hat ein eigenes Radkompetenzzentrum eingerichtet, das dem Lehrstuhl als kompetenter Kooperationspartner zur Seite stehen kann. Das Fahrrad ist endlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Doch damit ist die Arbeit nicht getan.
Eine einzelne Stiftungsprofessur für Radmobilität im Ruhrgebiet kann natürlich nur der Anfang sein. Zu einer echten Verkehrswende und zum Ausbau der Fahrradinfrastruktur gehören viele Bereiche: Das Rad als Wirtschaftsfaktor ist in aller Munde. Die Verkehrssicherheit erhöhen, damit jeder Schüler und jede Schülerin sicher mit dem Rad zur Schule kommen kann. Vernetzung durch Digitalisierung der „Radroutenspeicher Metropole Ruhr“ steht dafür. Bewegungsfördernde Infrastruktur für Gesundheit und Prävention steht immer öfter auf der Agenda. Wir müssen mutig mehr Fahrrad wagen – für die grünste Industrieregion der Welt.
Ulrich Syberg ist sachkundiger Bürger der SPD-Fraktion und Sprecher im Mobilitätsausschuss. Von 2010 bis 2021 war er Bundesvorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs ADFC.
Foto: ©SPD im Ruhrparlament